13. August
2004
Stefan und sein Bruder Thomas trafen sich zu Hause mit ihrem Freund Benjamin. Sie wollten auf ein Fest in der
Nachbarstadt Warburg, vorher noch in einer Gaststätte einkehren. Auf die Frage, ob wir sie hinbringen sollten, erklärte Stefan, dass ihr Freund
Marcel fahren wolle. Man wolle ihn aber nachher überreden, mitzufeiern und Alkohol zu
trinken. Das Auto sollte dann stehen bleiben. Daraufhin gaben wir Stefan noch
10,00 Euro extra, um die Heimfahrt mit dem Taxi für sich und seinen Bruder
bezahlen zu können. Wir wiesen ihn noch darauf hin, dass sein Bruder Thomas pünktlich zurück
sein müsse. Er erwiderte nur, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, er bringe
"den Kleinen" schon nach Hause. Mit diesen Worten machten sich alle drei
gegen 18:45 Uhr auf den Weg.
Gegen 19:50 Uhr hörten wir die Sirene, kurz danach die Feuerwehr und
Rettungswagen. In uns kam eine zunächst
unerklärbare Unruhe auf. Meine Frau Petra versuchte, unsere Söhne auf ihren Handys zu erreichen. Als diese sich
nicht meldeten, wollte sie sich in der Nachbarschaft erkundigen,
ob eventuell jemand mehr Informationen hat.
Um 21:19 Uhr rief mich meine Frau über Handy an und sagte mir, ich solle schnell kommen, es sei was
ganz schlimmes passiert. Sie übergab ihr Handy einem
Polizeibeamten, der mich informierte, dass mein Sohn Thomas an einem Unfall beteiligt
ist. Er nannte mir den Unfallort und bat mich, zu diesem zu kommen.
Starr vor Angst und wie in Trance fuhr ich zur Unfallstelle, nicht einmal 2
Kilometer entfernt. An zwei Straßenabsperrungen wurde ich
durchgelassen. Kurz vor dem Unfallort nahmen mich Rettungskräfte der Feuerwehr
in Empfang und begleiteten mich bis zu einem PKW des DRK, wo meine Frau im
Beistand des örtlichen Pfarrers wartete. Von hier aus war es nicht möglich, die
Unfallstelle einzusehen, da Rettungswagen und Fahrzeuge der Feuerwehr den Blick
versperrten.
Zunächst wurde uns nur gesagt, dass unser Sohn Thomas schwer verletzt sei und
gerade in einem Rettungswagen behandelt werde. Ich wollte zu ihm, wollte zur
Unfallstelle, wollte helfen. Man ließ mich nicht.
Auf die Frage, was mit unserem Sohn Stefan sei, wurde uns vom Polizeibeamten nur
erwidert, dass die
Personalien der weiteren Unfallbeteiligten noch nicht geklärt seien. Vorher
könne man noch nichts sagen. Aus den Gesprächen des Rettungspersonals konnten wir vernehmen, dass bei dem
Unfall drei Personen getötet worden seien. Der Gedanke, Stefan könnte bei dem
Unfall getötet worden sein, war unvorstellbar und unwirklich, es durfte und
konnte einfach nicht sein.
Nach für uns endlosem Warten, bangen und hoffen wurde uns mitgeteilt:
„ S t e f a n ist an den Unfallfolgen gestorben!“
Diesen Satz wollten wir
niemals hören, doch wir werden ihn nie vergessen. Am 13. August 2004, 19:45
Uhr, dem Todeszeitpunkt von Stefan ist für uns die Zeit und unser Leben stehen geblieben. Der
Boden brach unter uns weg.
Von einer Sekunde zur
anderen überkam uns diese Ohnmacht, nicht in der Lage zu sein, auch nur
annähernd zu begreifen, was passiert ist. Nein, nicht Stefan, nein, bitte nicht,
das kann und darf doch nicht sein.
Diesen Tag,
diesen Moment werden wir nie
vergessen.
Stefan war in dem Unfallfahrzeug Beifahrer. Er war angeschnallt.
Wie mir sein Bruder Thomas erzählte, hat Stefan den Fahrer immer darauf
aufmerksam gemacht, ordentlich zu fahren, wenn er im Auto sitze.
Es hat ihm nichts
genützt.
Der 13. August 2004 wird
Zeit unseres Lebens der Tag bleiben, an dem ein junger Mann - erst 18 Jahre alt
und Fahranfänger - durch völlige Fehleinschätzung seines Fahrvermögens und der
Verkehrssituation all´ unsere Träume und Hoffnungen zerplatzen ließ. Vielleicht hat
er beim Überholvorgang auf regennasser Fahrbahn im für ihn unbekannten und
übermotorisierten PKW seiner Eltern
die gefahrene
Geschwindigkeit unterschätzt, sein eigenes Fahr- oder Reaktionsvermögen
überschätzt, vielleicht hat er sich ablenken lassen oder..., keiner wird es je erfahren. Auch er musste
mit seinem noch jungen Leben
bezahlen.
Noch an der Unfallstelle verstarb der 17-jährige Benjamin und 5 Tage später
im Klinikum Kassel die 15-jährige Stefanie an ihren schweren Verletzungen.
Unser Sohn Thomas hatte einen guten Schutzengel, er überlebte als einziger
diesen Unfall.
Mit dem Rettungshubschrauber wurde er mit lebensgefährlichen Verletzungen in das
Klinikum Bielefeld gebracht.
Nach 14 Tagen konnte er nach überstandenem Koma und
Beatmung von der Intensivstation verlegt werden.
Seine Nachbehandlungen werden wohl noch mindestens ein Jahr dauern. Auf
Nachfolgeoperationen hat er sich eingestellt.
Inwieweit er in seinen körperlichen Bewegungen
auf lange Zeit oder gar für immer eingeschränkt bleiben wird, ist bis zum
heutigen Tag noch nicht abzusehen.
An den Unfall hat er - glücklicherweise - keinerlei Erinnerungen, und wir hoffen
alle, dass diese auch nie wieder zurück kommen.
Ergänzung (Oktober
2004):
Nach polizeilicher
Ermittlung und Auswertung der Unfallspuren steht mittlerweile fest, dass
der PKW beim Überholen mit nicht angepasster Geschwindigkeit nach links
von der befestigten Fahrbahn abkam und auf den Seitenstreifen geriet.
Noch auf dem unbefestigten Seitenstreifen hat der Fahrer des Pkws den
Bremsvorgang eingeleitet und dabei versucht, das Fahrzeug nach rechts zu
lenken.
Durch diese Aneinanderkettung der Fehler geriet der PKW ins schleudern,
drehte sich um fast 90 Grad, rutschte quer über die Fahrbahn und prallte
mit einer nicht mehr feststellbaren Geschwindigkeit mit der linken
Fahrzeugseite gegen einen Baum.
Auf Grund der Wucht des Aufpralls wurde der Heckbereich vom Vorderteil
des Pkws abgerissen und auf ein Feld geschleudert. Anschließend fing
dieses Feuer.
Was mich
nachträglich beschäftigt hat, ist das eigene Bedürfnis auf anschließende
seelsorgerische Begleitung und Hilfe.
Wie ich schon geschildert habe, waren meine Frau und ich an der
Unfallstelle. Nachdem uns Stefans Todesnachricht überbracht worden ist, sind
wir ohne Begleitung gegangen, haben uns ins Auto gesetzt, um nach Hause zu
fahren. Hier und die Folgezeit ließ man uns „allein“. Kein
Notfallseelsorger, kein Pfarrer, kein Polizeibeamter, der uns in dieser
akuten Schicksalssituation zur Seite stand, unterstützte, begleitete oder
nur einfach "Da" war. Nein, wir „allein“ durften unserer 12 jährigen Tochter
die traurige, schmerzhafte Nachricht vom Tod ihres Bruders Stefan
überbringen. Thomas wurde 100 km entfernt in einer Klinik behandelt. Auch
hier mussten wir uns „allein“ in der Nacht mit den behandelnden Ärzten der
Klinik in Verbindung setzen.
Später habe ich erfahren, dass die Rettungskräfte nach dem Einsatz
seelsorgerische Hilfe in Anspruch nehmen konnten. Es steht außer Frage, dass
auch diese hinreichende Hilfe benötigten. Für mich bleibt dennoch die Frage
unbeantwortet: „Wo war für uns direkt Betroffene die Betreuung und
Unterstützung der Beamten, der Kirche oder der Notfallseelsorger?“
Doch nach all dem möchten wir jedoch nicht
vergessen
D A N K E
zu
sagen.
Unser erster Dank gilt den
Rettungskräften am Unfallort und insbesondere der Notärztin, die mit ihrer
richtigen medizinischen Erstversorgung im Rettungswagen es überhaupt
ermöglicht hat, dass Thomas später in den Rettungshubschrauber verbracht
werden konnte, damit im Klinikum Bielefeld-Mitte weitere lebenserhaltende
Behandlungen durchgeführt werden konnten.
Unser ganz besonderer Dank gilt hier
den Ärzten und dem Klinikpersonal der Intensivstation. Sie haben wirklich
alles in ihrer Macht stehende getan und um das Leben unseres Kindes
gekämpft, damit wir Thomas wieder nach Hause holen konnten.
Wir denken heute auch in voller Dankbarkeit an die Schwestern und
Pfleger, die uns in dieser schweren Zeit Verständnis und Mitgefühl
entgegengebracht haben. Nicht nur Thomas, auch wir wurden fürsorglich
betreut, obwohl auf der Intensivstation noch andere Schwerkranke und
Verletzte zu versorgen waren. Tag und Nacht konnten wir bei Thomas sein
und ihm beistehen. Wir wissen dies sehr zu schätzen und danken diesen
Menschen von ganzem Herzen, denn auch für sie war dies bestimmt keine
alltägliche und schwierige
Situation.
Wir danken unseren
Freunden - allen Menschen -,
die Anteil an Stefans Leben und an seinem Abschied genommen haben,
den Menschen, die Stefan und uns begleitet haben ...
Nicht wer mit dir lacht,
nicht wer mit dir weint, sondern wer mit dir fühlt, ist dein wirklicher Freund. Menschen zu finden, die mit uns fühlen und empfinden, ist wohl das schönste Glück auf Erden.
Letztlich bleiben die Fragen und kommen immer wieder:
W a r u m .....,
weshalb gerade Stefan?
Er war so jung, voller Tatendrang und Ziele!
Stefan stand am Anfang
eines blühenden Lebens
mit vielen Stunden der Freude der Liebe und des Glücks.
Doch er durfte dieses Leben nur kosten,
seine Schönheit nur erahnen,
konnte keine eigene Familie gründen
und im hohen Alter auf ein erfülltes Leben zurückblicken.
Bis zu diesem Tag glaubte ich, alles hat einen Sinn;
aber jetzt weiß ich nicht, was ich noch glauben soll.
Wo war der Engel,
der Stefan hätte beschützen sollen?
Wo ist das Wunder,
dass alles ungeschehen macht?
Stefan, wir werden Dich immer lieben und in
guter Erinnerung behalten.
Als langjähriger Autofahrer
hab' ich schon
so viele Kreuze und Blumen am Straßenrand gesehen.
Trotz allem stell ich mir immer noch die Fragen:
Wann hat diese sinnlose
Raserei endlich ein Ende ?
Wie viele müssen denn noch sterben ?
Der Tod kommt schnell und ohne Vorwarnung. Den Sohn oder Freund, den man verlor, fehlt ein Leben lang. Jung sein, voller Tatendrang und Übermut Pläne schmieden, stolz auf den
Führerschein und das erste Auto sein, und dann? Dann passiert es - täglich, stündlich - : Unfall, Verletzung, Tod.
Wie furchtbar, werden viele sagen. Aber das reicht nicht! Möge der Unfalltod unseres Sohnes Stefan und all´ der anderen Jugendlichen auf
den Straßen eindringliche Mahnung sein für alle, die sich täglich sorglos in ihr
Auto setzen in dem Wahn, es würde immer nur den anderen etwas geschehen.
Es sind
aber nicht immer nur die anderen! Mit 19 Jahren - wie bei Stefan - darf es noch nicht vorbei sein!
|